Titel und Anrede
Das soziale Verhalten in Japan von Japanern untereinander einerseits und im Kontakt mit Gaikokujin (外国人, dt. mit Ausländern; kurz, etwas weniger höflich: Gaijin) andererseits unterscheidet sich in vielen Punkten von anderen westlichen, aber auch asiatischen Nachbarländern. Das rührt teilweise daher, dass Japan ein Inselstaat ist und dass er bis zum Beginn der Meiji-Restauration mehr oder weniger isoliert war. Dadurch entwickelten die Japaner ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre Einzigartigkeit. Diese Auffassung fand ihren Ausdruck in den Nihonjinron.
Die japanische Sprache ist eine kontextsensitive Sprache. Das Japanische kennt vielfältige sprachliche Mittel, die soziale Stellung und das Verhältnis der Gesprächsteilnehmer zueinander differenziert auszudrücken. Eine Konversation wird in der Regel konsensorientiert und respektvoll geführt. Hierzu bedient man sich des Keigo (敬語, „Höflichkeitssprache“), das auf den Hierarchievorstellungen des Konfuzianismus basiert. Damit die Kommunikation gelingt, ist es unabdingbar, dass der Sprecher die Höflichkeitssprache abhängig vom Kontext auswählt. Dazu müssen die Sprecher die Sprechrichtung, die soziale Stellung des Gespächspartners oder einer Person über die gesprochen wird und die Gruppenzugehörigkeit erfassen. Mithilfe der Höflichkeitssprache lässt sich beispielsweise zum Ausdruck bringen, dass der Sprecher seine soziale Position geringer erachtet, als die seines Gesprächspartners. Ebenso gut kann der Sprecher die entgegengesetzte Richtung wählen und zum Ausdruck bringen, dass er die soziale Position seines Gesprächspartners höher einschätzt als die eigene. Um zum Ausdruck zu bringen, dass man jemanden als höher gestellt betrachtet, verwendet man die Respektsform (Sonkeigo). Um hingegen zum Ausdruck zu bringen, dass man jemanden als höher gestellt betrachtet, indem man sich selbst unterordnet, verwendet man die Bescheidenheitsform (Kenjōgo). In beiden Fällen wird zum Ausdruck gebracht, dass eine andere Person höher gestellt ist, jedoch auf zwei unterschiedliche Weisen: indem die andere Person direkt als höherrangig angesprochen wird oder indem ich meine Person unterordne. Im Deutschen nachgebildet entspricht dies etwa folgenden Beispiele: "Nur Sie als Chef können das entscheiden" oder "Ich als Angestellter kann dies keinesfalls entscheiden". Die Formen unterscheiden sich in der Betrachtungsrichtung. Daneben gibt es eine dritte allgemeine Form, das Teineigo. Keigo ist damit deutlich komplexer als die Unterscheidung zwischen „Du“ und „Sie“ in der Deutschen Sprache und stellt daher eine große Hürde beim Erlernen der gehobenen japanischen Sprache dar. Keigo spielt vor allem im Geschäftsleben eine Rolle. Zudem führt die sprachliche Differenzierung zu einer verwirrenden Vielfalt von Anreden, die im Alltag verwendet werden.
Männer und Frauen werden geschlechtsneutral angesprochen, indem man -san (さん) an den Familiennamen anhängt. Manchmal wird auch der Vorname mit dem Suffix -san benutzt, um Respekt und zugleich Nähe auszudrücken. Auch in einem Gespräch über eine abwesende Person wird -san am häufigsten verwendet. Die Silbe -san drückt Respekt aus, daher benutzt man sie nicht, wenn man von sich selbst oder von Familienangehörigen spricht.
Die Nachsilbe -chan (ちゃん) wird für kleine Mädchen und Niedliches (kawaii) im Allgemeinen (Katzen nekochan, Babys akachan) benutzt und entspricht den deutschen Suffixen „-chen“ oder „-lein“. Oft wird dabei auch der Name gekürzt, so wird Yukiko (幸子) zu Yuki-chan (幸ちゃん). Wenn Frauen niedlich wirken wollen, benutzen sie -chan auch untereinander.
-kun wird für Klassenkameraden, Soldaten in der Einheit und Jungs im Allgemeinen verwendet. Für ältere Jungs als der Sprecher selbst gibt es das respektvollere -senpai, das Schüler und Studenten der höheren Jahrgänge bezeichnet.
-sama (様 oder さま) ist die respektvollste Anrede im modernen Japanisch, sieht man mal vom Hofzeremoniell des Tennō ab, wo noch alte Adelstitel im Gebrauch sind. Es wird in der Anrede in Briefen verwendet und gegenüber angesehenen Persönlichkeiten. min'na sama (皆様) ist äquivalent zu „Meine sehr geehrten Damen und Herren“.
Weiterhin sind Suffixe üblich, die eine gesellschaftliche Stellung und Funktion verdeutlichen. Mit Nachname plus sensei (先生, wörtlich „früher geboren“) spricht man Gebildete wie Lehrer, Anwälte, Ärzte, Professoren und Budo-Trainer an; die Anrede ist geschlechtsneutral. Nakamura-sensei kann daher Herr oder Frau Nakamura sein. Die Stellung in einem Unternehmen wird durch ein angehängtes -kachō, -buchō oder -shachō verdeutlicht. Der Austausch von Visitenkarten (名刺) spielt eine große Rolle. Man nimmt die Visitenkarte mit beiden Händen entgegen und liest sie oder betrachtet sie zumindest symbolisch. Viele Visitenkarten haben je eine Seite mit japanischer und „westlicher“ Schrift. Findet ein Gespräch am Tisch statt, wird die Karte links oben vom Empfänger, mit der Schriftseite für ihn lesbar, abgelegt. Keinesfalls steckt man die Visitenkarten in die Hosen- oder Jackentasche, das gilt als respektlos. Zur Aufbewahrung gibt es Etuis, oder man benutzt das Portemonnaie. Auf fremde Visitenkarten soll man, zumindest im Beisein des Gebers, nichts notieren. Gegenwärtig sind Visitenkarten auf der Rückeite häufig mit einem QR-Code versehen, der alle Informationen verschlüsselt enthält und der mithilfe von Mobiltelefonen ausgelesen werden kann.
Es ist auch erlaubt, den Namen auszulassen und nur die Funktion als Anrede zu verwenden, und zum Beispiel einen Lehrer mit sensei anzureden. Hierbei gilt wiederum: Mitarbeiter des eigenen Unternehmens bezeichnet man anderen gegenüber ohne die Höflichkeits-Suffixe. So redet ein Delegationsleiter über den eigenen Unternehmenschef mit 社長の井上 („Unternehmenschef Inoue“). Die Stellung in der Hierarchie wird als Attribut vor den Namen gesetzt.
Die Nachsilbe -tachi (達) bildet dagegen einen Plural. Neben watashitachi (私達, wir) kann man die Nachsilbe auch an andere Personalpronomen und an Namen anhängen. Dann bezeichnet man damit nicht nur eine Person, sondern die ganze Gruppe von Leuten, mit denen die Person normalerweise anzutreffen ist.
Japaner mit Auslandserfahrung stellen sich einem Ausländer gegenüber möglicherweise nach amerikanischer Sitte mit ihrem Vornamen vor. Wenn das Gespräch auf Japanisch geführt wird, sollte man sich trotzdem an die japanischen Konventionen halten. Wenn Englisch benutzt wird, geht das etwas legerer.
Ein großer Unterschied zum Deutschen besteht in der Verwendung der Personalpronomen. Das Japanische besitzt aufgrund der differenzierten Höflichkeitssprache viele Varianten zu den Personalpronomen. Es gibt rund zehn verschiedene Arten, "ich" zu sagen (der eigene Vorname; watakushi/watashi (私); boku (僕) und ore (俺) sind nur einige regionsunabhängige Beispiele), abhängig vom Geschlecht, Alter und Gesprächspartner.
Wo im Deutschen immer das Personalpronomen nötig ist, um zu bezeichnen, um wen es geht, wird es im Japanischen eher weggelassen und man erschließt aus dem Kontext, um wen es sich handelt. Die Personalpronomen der dritten Person haben in der japanischen Umgangssprache eine zusätzliche und besondere Bedeutung. Mit kare 彼 und kanojo (彼女) wird je nach Kontext oft der Freund oder die Freundin (Partner/Partnerin) bezeichnet. Kareshi (彼氏) bedeutet in der gesprochenen Sprache heute ausschließlich „der Freund" im Sinne von „Liebhaber". Ob jemand Single ist, fragt man also mit „kareshi / kanojo ga imasu ka?" anata (あなた) ist das einzige im aktuellen Japanisch verwendete Wort mit der Bedeutung „du“, das in neutralen Zusammenhängen als „Sie“ gebraucht werden kann z. B.: „Bitte benutzen Sie die Yamanote-Linie bis zur Station Shinjuku und steigen sie dann …“ Es stammt von einer gleichnamigen Anrede von Frauen für ihre Ehemänner.
Zudem hat sich die Konnotation ursprünglich höflich verwendeter Wörter in der Geschichte der Sprache ins Negative gewandelt. Unhöflich geworden sind beispielsweise:
- kimi (君) ursprünglich Bezeichnung für den Tennō (ookimi (大君)) in der Edo-Periode, jetzt Ausdruck für "du" in der Männersprache
- omae (お前) (ehrenhaftes Gegenüber) früher "Sie", jetzt "he du!" (Ausruf, unhöflich) oder im vertrauten Zusammenhang ein einfaches "du" (ebenfalls Männersprache).
- kisama (貴様) (Ehrenwerter hochverehrter [Herr]) bedeutet in heutiger Verwendung ironischerweise "du Arschloch".